Deprivationssyndrom (Hospitalismus) bei Hunden

 

Als Deprivationssyndrom wird die Gesamtheit der Symptome bezeichnet, die durch eine reizarme Aufzucht entstehen, wenn sich der Hund in seinem weiteren Leben in einer komplexen und anregenden Umwelt befindet.

Durch seine Defizite in der Gehirnstruktur kann er mit den vielen Umwelteinflüssen nicht umgehen.
Er reagiert zunächst mit einer Phobie vor allem, was neu ist und aufgrund der dynamischen Vorgänge im Rahmen dieser Erkrankung lebt er sehr bald in einem dauernden Zustand von Angst: deprivationsbedingte Ängstlichkeit.

  

Allzu schnell lernt ein Hund in diesem überwachsamen, angespannten Zustand, dass aggressives Verhalten ein hervorragende Methode ist, sich alles und jeden vom Leib zu halten.

Da diesen chronisch ängstlichen Hunden aufgrund ihrer Erkrankung eine vernünftige Selbstkontrolle fehlt, stellen sie eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Öffentlichkeit und, wenn die Kommunikation gestört ist, auch für ihre Familie dar !

 

In manchen Fällen finden diese ängstlichen Hunde für sich eine – scheinbar – grossartige Lösung. Sie kann die Ursache für das nächste Problem sein ...

 
 

Der Text wurde uns mit freundlicher Genehmigung von Dipl. Tierärztin Sabine Schroll zur Verfügung gestellt. Frau Doktor Schroll war so nett und hat uns für ein schriftliches Interview zur Verfügung gestanden.


Was ist , kurz gefasst, eine Deprivation ? 


Deprivation bedeutet Reizentzug oder Reizmangel.

Was passiert im Gehirn , während der entschiedenen Entwicklungsphase, wenn ein ein Hund Reizarm aufwächst ?
 

 

Das Gehirn entwickelt sich beim Hund zu einem guten Teil erst nach der Geburt unter dem Einfluss von Sinnesreizen. Kommen keine oder zu wenige Informationen an die Nervenzellen, werden sie in einem genetisch programmierten Prozess weggeräumt, weil sie ja ohnehin nicht gebraucht werden. Nervenzellen, die einmal durch ankommende Reize stimuliert waren, sind vor diesem Prozess geschützt.

 

Was genau hat man unter einem Defizit in der Gehirnstruktur , bei einem Hund der unter Deprivation leidet, zu Verstehen, bzw, von welchen Defiziten spricht man da ?

 

Die Zahl und Vernetzung der Nervenzellen ist reduziert und damit auch die Möglichkeiten sich flexibel an neue Situationen oder Umweltbedingungen anzupassen. Diese Anpassungsmöglichkeiten sind der eigentliche Grund für diese Art der Gehirnentwicklung – das Gehirn lernt im Laufe des Wachstums sich individuell dem Lebensraum entsprechend anzupassen. Ein Hund, der auf dem Land aufwächst ist perfekt für diese Umwelt ausgerüstet … und hat seine Probleme, wenn er in der Stadt leben muss.Die Defizite sind auch in der Bandbreite der als „normal“ und ungefährlich empfundenen Reize, die keine Angst auslösen.

 

Kann das Gehirn diese Defizite wieder , dauerhaft, korrigieren ?
 

 

Nein. Dieses schnelle und intensive Lernen findet nur in dieser sensiblen Lebensphase von 3 Wochen bis 3 Monaten statt. Nachträgliches Lernen ist natürlich noch möglich, aber langsam und mühselig gegenüber der frühen Phase.

 

An welchen Symptomen erkenne ich das mein Hund an einem Deprivationssyndrom erkrankt ist ?
 

 

Prinzipiell schon einmal am Kontext – der Hund befindet sich in einer Umwelt, die ganz anders ist als die während seiner Entwicklung. Diese Hunde haben Angst, wenn sie das Haus verlassen sollen, wollen oft lieber nachts raus, wenn es leise ist, sie werden oft nicht sauber, weil sie draussen zu gehemmt sind und lieber in der sicheren Wohnung pinkeln, manche Hunde versuchen sich der Angst durch die „Vierpfotenbremse“ und Steifwerden zu entziehen, manche flüchten und manche lernen sehr schnell, dass Aggression eine gute Allzweckreaktion ist. In der Wohnung oder bei Ausflügen aufs Land sind diese ängstlichen Hunde ganz anders und spielen, benehmen sich „normal“.

 

Kann die Deprivation auch bei Hunden auftreten die ein Normales leben hatten, welches sich aber durch Traumatische Umstände, zum Beispiel Trennung der Halter , ändert?
 

 

Nein – Deprivation ist per definitionem eine entwicklungsbedingte Störung mit Reizmangel während der 3. bis 12. Woche. Späterer Reizmangel bei einem gut aufgezogenen Hund führt eher zu Stereotypien oder anderen Verhaltensproblemen. Traumatische Erfahrungen sind manchmal Ursache für Angststörungen wie Phobien oder Depression.

 

Welche Probleme können Hunde mit einem Deprivatiosnsyndrom in ihrem späteren Leben haben?

 

Das hängt davon ab, wo sie leben müssen und mit wem sie leben müssen. Manche Hunde scheinen sich zu stabilisieren solange es keine grossen Veränderungen im Leben gibt, Rituale stabil sind und das Leben vorhersehbar. Manche entwickeln aus der chronischen Angststörung irgendwann körperliche Symptome. Trennungsbedingte Probleme sind häufig, wenn der Hund sich ausschliesslich durch die Anwesenheit des Besitzers gut fühlt.

 

Gibt es Medikamente mit denen man solche Hunde unterstützen kann ?

 

Ja, die gibt es. Je nachdem welche Symptome vorherrschen stehen einige Präparate zur Verfügung. Die Therapie dauert je nach Schweregrad und vor allem wann man sie beginnt zwischen 6 und 18 Monaten. Neben Medikamenten haben sich für Hunde mit Deprivationssyndrom auch die Pheromontherapie und einige Nahrungsergänzungen bewährt.

 

Was kann ich als Halter eines solchen Hundes tun um ihn im täglichen Leben zu Unterstützen ?

 

Das Leben für den Hund vorhersehbar machen. Je mehr Signale der Hund kennt, desto leichter ist es, ihm in schwierigen Situationen zu sagen, was er jetzt tun soll – alles, was er gut kann und als Gewohnheit etabliert ist, gibt ihm Sicherheit. Und natürlich grundsätzlich einmal einen Therapiebedarf zu erkennen und chronische Angst nicht als gegeben und selbstverständlich anzusehen!

 

 

  © angsthund.de

 

 

 

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